pro.log zu „Kabale + Liebe“

Gut besucht war der Pro.log zu „Kabale und Liebe“ (Schiller) und „Kabale + Liebe“ (Juli Mahid Carly) am 29.10., obwohl ein Großteil des Publikums die vor allem für Schüler reservierte Aufführung noch nicht sehen konnte. Alle, die keinen der noch wenigen Plätze ergattern können, seien darauf verwiesen, dass das Stück im Frühjahr wieder aufgenommen wird.

Der sehr interessante Vortrag von Dr. Franz Schwarzbauer brachte uns Schillers Stück näher. Mit vier Zitaten von vier verschiedenen Interpreten eröffnete er den Vortrag und zeigte so, wie vielschichtig das Stück, wie vielschichtig und vom Zeitgeist abhängig aber auch die Interpretationen sind: Ist das Stück eine Abrechnung des jungen, rebellischen Autors mit der korrupten, verlogenen Adelsgesellschaft, die sämtliche Werte verrät? Oder eine mit den Zwängen der Standesgesellschaft, in der die Bürger sich anschicken, Werte wie „Ehre“, die früher dem Adel vorbehalten waren, zu übernehmen – allerdings ohne dessen Rechte? Ist es eine Kritik an den politischen und sozialen Zuständen, wo junge Männer als Soldaten verkauft werden, um den Fürsten ihr üppiges Leben zu ermöglichen? Oder ist es vor allem ein Stück über die Liebe, wie sie Ferdinand versteht: Liebe als Leidenschaft, die nichts daneben gelten lässt, die in ihrem Absolutheits- und Besitzanspruch in die Katastrophe, zum tragischen Ende führen muss?

Nach einem Ausflug in die Entstehungsgeschichte des Dramas geht Schwarzbauer anhand der drei für die Dramaturgie des Stückes so wichtigen Briefe (zwei von Luise, einer von Lady Milford) auf all diese Motive ein, zeigt dramaturgische Stärken, aber auch Schwächen dieses „wilden“ Stückes auf, das nicht den Zwängen der klassischen französischen Tragödie gehorcht, sondern das Leben, die Charaktere, die Gefühle in all ihren Widersprüchen, ihrem Chaos darstellen will. Durch Verweise auf Schillers Aufsatz über „Die Schaubühne als moralische Anstalt“ skizziert Schwarzbauer dessen Dramentheorie.

Nach diesem Vortrag stellte Renate Schwalb als Moderatorin die Frage, warum das Theater die „Überschreibung“ und nicht das Original gewählt hat und wie viel Schiller in dieser Überschreibung steckt. Daraus ergab sich ein spannendes Gespräch zwischen Sabrina Toyen, der Dramaturgin, Sarah Siri Lee König, die die Lou und Luise spielt, und dem Darsteller des Ferdi/ Ferdinand, Jasper Diedrichsen, dem Referenten und der Moderatorin. Motive Schillers werden übertragen auf Heutiges (statt Stände-, Klassengesellschaft, statt absoluter leidenschaftlicher Liebe, Aushandeln von Liebe?). Die Wucht der Schillerschen Sprache geht nicht verloren, wird immer wieder eingewoben in den modernen Text. Sprache, Musik, Gesang, Tanz (die Darstellenden zeigen sich wieder einmal als Multitalente) fügen sich zu einem Gesamten, das junges wie älteres Publikum in den Bann zieht. Die Moderatorin zitiert ihre 15-jährige Enkelin: „Oma, nachdem ich das Stück gesehen habe, habe ich Lust, in der Schule den Schiller zu lesen.“ Sie ist wohl nicht die Einzige, die so denkt.